Ariosophie

Aus Astrodienst Astrowiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Sogenannte Schwarze Sonne[1]

Die Ariosophie war eine geistige Strömung, die ihre Ursprünge vor 1900 hatte und sich in den folgenden vier Jahrzehnten in den deutschsprachigen Ländern entwickelte und ausbreitete. Dabei trafen sich esoterisch-okkulte Vorstellungen der Theosophie, völkisch-nationale und rassisch-mythische Anschauungen. Ariosophische Einflüsse, Elemente und Sichtweisen fanden sich etliche ab den 1920er Jahren, verstärkt ab 1930/ 1933, oft im Anschluss an die Theosophie, in unterschiedlicher Ausprägung, Stärke und zeitlicher Dauer - bei Astrologen, astrologischen Autoren und Esoterikern.

Etymologie

„Der Begriff "Ariosophie" bedeutet okkulte, die Arier betreffende Weisheit. Er wurde das erste Mal 1915 von Lanz von Liebenfels verwendet zur Bezeichnung seiner Lehre“ (Goodrick-Clarke).[2] Arier sind im engeren Sinne ein Volksstamm der Indo-Iraner, der im zweiten vorchristlichen Jahrtausend nach Indien bzw. in den Hindukusch einwanderte. Im weiteren Sinne ist damit das indogermanische "Urvolk" gemeint. Im Nationalsozialismus ging man davon aus, dass die Urheimat der Arier in Norddeutschland oder Skandinavien gelegen habe, und "arisch" wurde meist mit "germanisch" gleichgesetzt. Hier diente die Nomenklatur hauptsächlich dazu, um sich von "Nicht-Ariern" abzugrenzen, insbesondere von Juden und "Zigeunern".[3]

Geschichte

Die Entstehung der Ariosophie und ihrer Inhalte lässt sich am besten nachzeichnen am Werk ihrer Hauptprotagonisten, Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels.

Guido von List

Guido von List (um 1913)

Guido von List[4] (eigentlich: Guido Karl Anton List, * 5.10.1848 in Wien; † 17.5.1919 in Berlin) war ein österreichischer Schriftsteller und Esoteriker. Er wirkte als ein populärer Vertreter der Völkischen Bewegung, und gilt als Begründer der okkultistisch-rassistischen Ariosophie.

Späteren Selbstdarstellungen zufolge entwickelte er in jungen Jahren eine Neigung zum Spirituellen und ein starkes Interesse an germanischer Mythologie, verbunden mit einer Ablehnung des in Österreich vorherrschenden Katholizismus. Einen ersten Erfolg als Autor erzielte er 1888 mit dem Roman Carnuntum, in dem er von der heidnischen Antike bis in die Gegenwart einen Konflikt zwischen der germanischen Ur-Bevölkerung des Wiener Beckens und den römischen Kolonialherren bzw. der römisch-katholischen Kirche zeichnete, sowie glorifizierend einen fiktiven Angriff germanischer Stämme auf die römische Provinzhauptstadt Carnuntum schilderte. Dies fand großen Anklang im völkischen Lager. In den 1890er Jahren entwickelte sich die Vorstellung eines Wotan-Kultes als der nationalen Religion der „Teutonen“ zum Kerngedanken seiner Mythologie, die er in dem Buch "Der Unbesiegbare" (1898) darstellte. Hinzu kamen zunehmend antisemitische Motive.

List gründete 1911 den „Hohen Armanen[5] Orden“ (HAO) als inneren Zirkel der List-Gesellschaft, der jedoch nur wenige Mitglieder umfasste und bald zerfiel. Im Ersten Weltkrieg kursierten seine Werke unter den Soldaten an der Front, und er erhielt von dieser Leserschaft viele Briefe. Die Katastrophe, in die der Krieg mündete, wertete er als eine weitere Etappe des Leids vor der endgültigen Errettung der Ario-Germanen.

List benannte seine religiöse Lehre („Wotanismus“) nach Wotan oder Odin, dem höchsten Gott der Germanen. Als Überlieferung der alten germanischen Mythologie betrachtete er die nordische Edda, deren Urheber er als germanische Flüchtlinge vor der christlichen Verfolgung ansah. Ein von List besonders herausgehobener Aspekt ist die magische Kraft der Runen, wovon bereits im Edda-Lied Hávamál die Rede ist. Lists originäre Leistung, die ihn nach Goodrick-Clarke zum „Pionier des völkischen Runenokkultismus“ machte, bestand darin, jeder der 18 Strophen des Hávamál eine Rune des Runen-„Alphabets“ (Futhark) zuzuordnen und diesen jeweils eine bestimmte okkulte Bedeutung zuzuschreiben.

Nach und nach rezipierte List weitere Elemente der Theosophie, die er jedoch zumeist mit Bezeichnungen aus der germanischen Mythologie belegte; Goodrick-Clarke spricht hier von einer „Germanisierung der Theosophie“. Franz Hartmann, Theosoph und einer der damals bedeutendsten Esoteriker im deutschen Sprachraum, verglich Lists Buch Die Bilderschrift der Ario-Germanen mit Isis entschleiert, dem bahnbrechenden Erstlingswerk Helena Petrovna Blavatskys, der Begründerin der modernen Theosophie, und war begeistert von den durch List dargelegten Übereinstimmungen zwischen „germanischer“ (de facto: Listscher) und „hinduistischer“ (de facto: Blavatskyscher) Mythologie.

Die Erlösung der Ario-Germanen aus ihrem als unwürdig empfundenen Status quo sah List für die baldige Zukunft voraus, wobei seinen Vorhersagen eine teils paradoxe Kombination aus kosmischen Zyklen und apokalyptischer Endzeiterwartung zugrunde lag.

Jörg Lanz von Liebenfels

Lanz von Liebenfels

Jörg Lanz von Liebenfels[6], eigentlich Adolf Joseph Lanz (* 19.7.1874 in Wien; † 22.4.1954 in Wien), war ein österreichischer Geistlicher, Anti-Feminist, Antisemit, Rassentheoretiker und Okkultist.

Unmittelbar nach seiner Matura 1893 schloss er sich dem Zisterzienserorden an. Als Novize des Stifts Heiligenkreuz im Wienerwald erarbeitete er sich rasch Ansehen wegen seiner profunden Kenntnis der Geschichte des Landes und des Ordens im allgemeinen, sowie seines Stifts im besonderen. Große Teile seiner Freizeit widmete er der Beschäftigung mit der Astrologie[7], dem Neopaganismus, Okkultismus und Gralsmythos. Unter dem Einfluss der Schriften des Okkultisten Guido von List und der Polemiken des Alldeutschenführers Georg von Schönerer entwickelte er sich bis zur Jahrhundertwende zu einem radikalen Deutsch-Nationalen und Eugeniker.

Der Kern seiner späteren politischen Ansichten soll sich ihm bereits 1894 durch eine Vision erschlossen haben: Bei der Meditation über einem Grabstein mit der Abbildung eines Ritters, der einen Hundsaffen niederringt, will ihm schlagartig klar geworden sein, dass die Rasse der „Arier“ oder „Herrenmenschen“ einen ständigen Abwehrkampf gegen die Rasse der „Nichtarier“ oder „Affenmenschen“ zu führen habe. Da die arische Rasse durch Vermischung mit „Minderrassigen“ geschwächt sei, seien umfassende „rassenhygienische“ Maßnahmen zu ihrer „Reinzucht“ und „Veredlung“ erforderlich. Diese wiederum bedürften unter anderem einer bedingungslosen Unterordnung der arischen Frau unter den arischen Mann.

Lanz wurde zwar 1898 zum Priester geweiht, scheint aber kaum ein Jahr später dazu aufgefordert worden zu sein, den Orden wieder zu verlassen.

Seine frühen Artikel waren zwar radikal, aber noch nicht unbedingt exzentrisch; die ihnen zugrunde liegende Kombination von Rassismus, Antisemitismus, Antikatholizismus, Antifeminismus und Antisozialismus hatte zu ihrer Zeit viele Anhänger. Wirklich bekannt wurde er dann mit seinem Buch Die Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron, das, wie die erste Ausgabe der Ostara, 1905 erschien, und seine Rassentheorie um ein esoterisches Geschichtsmodell erweiterte, auf Basis einer neognostischen Bibelauslegung. Im Unterschied zu List war er weniger an germanischer Religion und deren Zeugnissen, sondern mehr an der biblischen Überlieferung interessiert. So berief er sich vor allem auf christliche Traditionen. In seiner „Theozoologie“ erklärte er die heutigen Arier zu Nachkommen der biblischen Engel, sowie die heutigen Nichtarier zu Abkömmlingen einer geschlechtlichen Verbindung zwischen der biblischen Eva und einem der domestizierten Primaten, die den Engeln als Sexspielzeuge gedient hätten. In seiner Forderung nach Eugenik (Rassereinheit) sieht er den wahren Kern der Lehre Jesu und in Christus selbst einen historischen arischen Heerführer. Lanz formte damit die ursprünglich von List umrissene Ariosophie fast fertig aus und gründete noch im selben Jahr zu ihrer weiteren Verfeinerung und Verbreitung die „Guido-von-List-Gesellschaft“.

Mit seinem 1923 erschienenen Buch "Weltende und Weltwende" machte Lanz, mittlerweile wieder in Wien, die von ihm postulierte Weltverschwörung der Juden, Sozialisten und Freimaurer zum Mittelpunkt seiner weiteren Publikationen, und den Antisemitismus zum Kernpunkt seines Programms. Seine Publikationstätigkeit dauerte bis Ende der 1920er Jahre fort. Ab Mitte dieses Jahrzehnts beanspruchte er für sich, ein wesentlicher Vordenker Adolf Hitlers und „Bahnbrecher des Nationalsozialismus“ gewesen zu sein.

Nach dem Heß-Flug nach Schottland 1941, im Zuge der Säuberungswelle der NS-Machthaber gegen die Astrologen und überhaupt alles Okkultistische, wurde in Deutschland auch die Ariosophie verboten.[8]

Inhalte

Das meiste der Philosophien von Guido von List und Lanz findet sich in der Ariosophie wieder. Wichtige Elemente und Begriffe wie der Karma- und Wiedergeburtsgedanke, Runen-Okkultismus, Edda-Mythologie, Astrologie, Kabbalah und Namenkabbalismus, Endzeitvorstellungen, Handlesekunst, rassistische und antijüdische Vorstellungen, Ablehnung der römisch-katholischen Kirche, teilweise ein Esoterisches Christentum, mythische Überhöhung germanischer bzw. arischer Kulturen und Geschichte, bisweilen gekoppelt an den modernen Atlantis-Mythos (theosophischen Ursprungs), teilweise Orientierung an Orden und Logen, verbunden mit einem Auserwähltheitsglauben und einem gnostisch-manichäischen Weltbild (reine Lichtwelt vs. finstere, sinnliche Misch-Welt) zeichnen dem Komplex der Ariosophie aus.

Der (völkische) Rassismus und Antisemitismus im ariosophischen Weltbild ist verknüpft mit der genannten mythischen Überhöhung germanischer und angeblich alter arischer Kulturen. Die sogenannte arische (Wurzel-)Rasse als ursprünglich weltweiter Kultur- und Geistesträger wird gegenüber allen anderen als überlegen betrachtet und findet aus ariosophischer Sicht ihren Höhepunkt in der germanischen Kultur, im germanischen Menschen. Die angebliche Bedrohung der rassischen, geistigen, seelischen und kulturellen "Reinheit", des Überlebens der germanischen Bevölkerung durch ihre Vermischung mit anderen "Rassen" und deren Kultur bzw. Ideen, verbunden mit einem ausgesprochenen (deutschen) Nationalismus und aggressiven Abwehrvorstellungen, stellt den Kern des ariosophischen Rassismus und Antisemitismus dar.

Vermischung von Ariosophie und Theosophie

Der Germanisierungswahn machte vor der Astrologie nicht Halt[9]

Der Inhalts-Index der "Neuen Metaphysischen Rundschau 1/ 1907 zeigt beispielhaft die Entwicklung und Verquickung ariosophischer Anschauungen aus und mit der Theosophie.[10] Insbesondere der Liebenfels'sche theozoologische Ansatz wird deutlich. Auch, dass die Übergänge zwischen Theosophie und Ariosophie zu Beginn fließend waren, lässt sich an der Inhaltsangabe erkennen:

  • (nach Lanz von Liebenfels) Die "baziati" auf dem "schwarzen Obelisken" (britisches Museum)
  • Die "udumi", die biblischen "Adams- Menschen" auf dem "schwarzen Obelisken" (brit. Museum)
  • Die "pagutu", die "Nickermenschen" auf einem assyrischen Relief (brit. Museum)

Inhaltsverzeichnis des Bandes XIII, 1906[11]:

  • Lanz von Liebenfels: Der Affenmensch der Bibel
  • Dr. Franz Hartmann: Magische Matathesis
  • Wünschelrute
  • Das Rätsel der ewigen Pyramide
  • Die sichtbare Seele
  • Spaltung des Bewußtseins
  • Pflanzennerven
  • Liebenfels: Anthropozoon Biblicum
  • Leopold Ziegler: Wesen der Kultur

Der Herausgeber dieser Zeitschrift, Paul Zillmann, war nicht nur ein bedeutender Theosoph und Verleger für theosophische Texte z.B. des deuschsprachigen Theosophen Hartmann, sondern veröffentlichte zugleich ariosophische Autoren wie Liebenfels und List. Lanz von Liebenfels beruft sich andererseits in der Geschichte der Ariosophie[12] ausdrücklich auf Theosophen wie Blavatsky, Hartmann und Annie Besant.[13]

Ellic Howe[14]

Ariosophisch orientierte Astrologen

Weblinks

Die Astrologie ist orientalischer Herkunft und mit keinen Mitteln zu germanisieren. Sie widerspricht grundlegend allen unseren Anschauungen und gehört zu den volksschädlichen Einrichtungen, mit denen wir so schnell wie möglich aufzuräumen haben. Wir können keine Lehre brauchen, die die Volksseele vergiftet und unseren Volksgenossen den eigenen Willen raubt. Wir können keine Mitläufer brauchen, die am Gängelband des Sterndeuters gehen, sondern nur Menschen mit offenem Blick und zielbewußtem Handeln, die auf des Führers Wort hören (Nationalsozialistische Monatshefte, 4.1.1936)
Liebenfels vor 1907

Literatur

  • Goodrick-Clarke, Nicholas: Die okkulten Wurzeln des National-Sozialismus. Leopold Stocker Verlag, Graz 2000
Englische Wikipedia zu dem Buch (Standardwerk zur Ariosophie)
  • Howe, Ellic: Uranias Kinder: Die seltsame Welt der Astrologen und das Dritte Reich. Beltz-Athenäum, 1995 (englische Originalausgabe 1967)
  • Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne. Herder/ Freiburg, 2. Auflage 1999, 256 S. ISBN 978-3451271861
  • Christoph Schubert-Weller: Politische Astrologie im Deutschland der 20er und 30er Jahre, in Meridian (Zeitschrift) 5/ 87 und 6/ 87, sowie Verdrängte Geschichte. Legendenbildung der bundesdeutschen Astrologie nach dem Zweiten Weltkrieg, in Meridian 4/ 88 und 5/ 88

Quellen und Anmerkungen

  1. In der Wewelsburg bei Paderborn, dem Sonnenrad nachgebildet, von der SS 1934 bis 1945 genutzt. Dieses Symbol enthält zwolf Swastikas (Hakenkreuze).
    Gemeint ist mit dem Begriff nicht die Schwarze Sonne als Aphel der Erdbahn
  2. Goodrick-Clarke 1997, S.218 (Anmerkung 1 der Einleitung)
  3. Wikipedia: Arier
  4. Quelle: Wikipedia: Guido von List, stark gekürzt
  5. Armanen = Kurzform von Ario-Germanen
  6. Überwiegend aus Wikipedia: Jörg Lanz von Liebenfels
  7. Jörg Lanz von Liebenfels: Praktisch-empirisches Handbuch der ariosophischen Astrologie (vier Bände), Verlag Herbert Reichstein, Pforzheim, Düsseldorf 1926–1934
  8. Howe, S. 261
  9. Abbildung aus einer Handschrift von "Weishaar" oder Kurt Paehlke
  10. Zillmann, Paul (Hrg.): Neue Metaphysische Rundschau Band XIV, 1907/1 Monatsschrift für philosophische, psychologische und okkulte Forschungen in Wissenschaft, Kunst und Religion, Gross-Lichterfelde, Verlag Paul Zillmann, Seiten 1-64
  11. Beigelegtes Doppelblatt
  12. Lanz von Liebenfels: Geschichte der Ariosophie (in mehreren Teilen erschienen in: Zeitschrift für Geistes- und Wissenschaftsreform, Hrg. Herbert Reichstein, Pforzheim 1929 - 1930)
  13. Goodrick-Clarke, S. 183
  14. Verfasser des Standardwerks zur Ariosophie
  15. Nur bis zu Hitlers Machtergreifung, später Nazi-Gegner