Freier Wille

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Avicenna (Ibn Sina) deutet auf die aneinander geketteten Adler und Kröte[1]

Im Gegensatz zur Willensfreiheit stehen die Lehre des Determinismus (= absolute Vorherbestimmung); insbesondere aber Fatalismus und Kausalität.

Philosophiegeschichte

Schopenhauer sagte, der Freie Wille sei eine Illusion, er widerspreche der Kausalität.
Ähnlich argumentiert die Naturwissenschaft; allerdings nicht mehr in ihrer quantenphysikalischen Form.

Quantenphysik

Die Klassische Mechanik versteht die sichtbaren Phänomene der Welt, d.h. der atomaren Makroebene, als deterministisch bestimmt. Theoretisch ist es nach ihrem Modell möglich, dass bei ausreichender Information jede Zukunft beliebig genau vorhergesagt werden kann.

Dagegen ist es in der subatomaren Mikroebene der modernen Quantenmechanik scheinbar nicht mehr bzw. noch nicht möglich, den Ablauf eines Vorgangs hinsichtlich messbarer Größen exakt vorherzusagen, selbst wenn alle Informationen über den Anfangszustand bekannt sind. Damit scheint das Geschehen dieser Mikroebene nicht vollständig determiniert zu sein, sondern unterliegt teilweise einem "Zufall". Oder aber den menschlichen - "subjektiven", "freien" - Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten, wie missverstandene Schlagwörter der Quantenmechanik nicht ganz zutreffend nahelegen.
Missverstanden deswegen, da die Wirkungen der 'Indeterminiertheit' quantenmechanischer Prozesse auf die komplexe atomare Makroebene vernachlässigbar sind, etwa auf die Neuronen oder Zellabläufe im Menschen, bzw. auf dessen normale Alltagsrealität. In dieser Perspektive haben die als 'ideal zufällig' bzw. 'indeterministisch' wahr genommenen quantenmechanischen Phänomene keine Bedeutung für den Determinimus der Klassischen Physik der atomaren Makroebene (für die Klassische Mechanik), somit auch keine Bedeutung für den menschlichen Freien Willen.[2] Eine (gänzliche) Abhängigkeit des Freien Willens von den 'Naturgesetzen' beider Physik-Gebiete besteht nicht bzw. ist keinesfalls zwingend ableitbar, und aufgrund der Grenzen naturwissenschaftlichen Wissens auch nicht möglich.[3]

Neueste quantenmechanische Forschungsversuche deuten darauf hin, dass die Vorstellung 'rein zufälliger' Geschehnisse auf der subatomaren Mikroebene so eh nicht haltbar ist.[4][5][6]

Theologie

Das Wort Freiheit findet in theologischen Diskussionen nicht immer dieselbe Verwendung wie in philosophischen. Ein Konsens bezüglich des Freiheitsbegriffs besteht dort allerdings genauso wenig.[7]

Von Kritikern bestimmter religionsphilosophischer und theologischer Freiheitsinterpretationen wird häufig ein Problem für die Annahme angeführt, dass die menschliche Freiheit vor dem Hintergrund göttlicher Allwissenheit (Omniszienz) widerspruchsfrei bestehen könne: Wenn Gott allwissend ist, wie kann dann der Mensch frei in seinen Entscheidungen sein? Noch verschärft wird dieses Dilemma dann, wenn man – wie in vielen Religionen der Fall – Gott als einem übermächtigen Wesen über das bloß beobachtende Vorherwissen hinaus auch eine die Geschicke der Welt bzw. das Schicksal des individuellen Menschen lenkende und fügende Funktion zuweist (Vorsehungsglaube) oder sogar annimmt, die sittlich-religiöse Letztbestimmung/ das Seelenheil eines Menschen werde durch göttlichen Ratschluss im Voraus unabwendbar festgelegt (Prädestinationsglaube).

Auch die Gegenthese, göttliche Allwissenheit und menschliche Entscheidungsfreiheit würden einander keineswegs ausschließen, z.B. wenn Gott (als der Raumzeit entzogener Beobachter) nur die Entscheidung vorhersieht, nicht aber beeinflusst,[8] wird in Theologie und Philosophie häufig vertreten.[9][10]

Diesen Ansichten gegenüber steht das theologische Konzept eines Wirklichkeitsganzen, welches sich sowohl aus der natürlichen (= Diesseits) als auch aus der transzendenten Wirklichkeit (= Jenseits) zusammensetze. Beide Wirklichkeiten existierten auch im Menschen, weshalb die Prozesse der Handlungsfindung sowohl biologisch als auch göttlich motiviert seien. Es brächten also jeweils zwei Grundmotivationen Entscheidungsmöglichkeiten hervor, womit der Mensch sich bei Handlungen frei entscheiden könne.

Im lutherischen Christentum hat die Frage nach der Willensfreiheit eine wichtige Stellung, weil damit das Problem angesprochen wird, inwiefern der Mensch aus eigener Kraft vor Gott "gerecht" werden und sich dem Heil zuwenden kann. Dies stellt die Thematik in den Kontext von Freiheit vs. Gnade Gottes.

Die Bibel enthält sowohl Verse, welche die Entscheidungsfreiheit des Menschen unterstreichen, als auch solche, die diese einschränken oder aufheben. Besonders zu erwähnen sind hier des Paulus Ausführungen über die souveräne Bestimmung des Menschen zu Heil oder Unheil durch Gott (Röm 9,20–23). Augustinus vertrat die Position, dass es keine absolute Willensfreiheit gebe. Diese Fähigkeit habe der Mensch durch den Sündenfall verloren. In anderen Schriften argumentiert er jedoch dafür, dass der Mensch durch die Gnade Gottes sich entscheiden könne, weil sein Wissen unvollkommen sei.[11]

Luther betonte in De servo arbitrio die Unmöglichkeit eines Freien Willens.[12] Dies führte damals zu seinem Bruch mit dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam. Johannes Calvin ging sogar noch weiter und vertrat die Lehre einer doppelten Prädestination. Ganz anders die radikal-reformatorischen Unitarier, die sich in dem 1605 erschienenen Rakauer Katechismus für den Freien Willen und gegen die Erbsünde aussprachen.[13]

Andere Religionen: Im Islam sind Prädestinationslehren weit verbreitet, doch lehrten die Qadariten und Muʿtaziliten eine Willensfreiheit des Menschen. Auch im Hinduismus gehen einige Strömungen von Prädestination aus, andere betonen die Freiheit des Menschen. Der Buddhismus verneint sowohl die absolute Willensfreiheit als auch den absoluten Determinismus, während im Judentum die Idee der Willensfreiheit ein zentrales Dogma darstellt.

Astrologie

Die Astrologie war bis in die Neuzeit (bis ins 15./ 16. Jahrhundert) meist von deterministischen und fatalistischen Ansichten geprägt. Dies stieß schon in der Antike, im Mittelalter und vor allem in der Renaissance auf Kritik an der Judiciar-Astrologie, der sogenannten urteilenden Astrologie, gemeint waren damit vor allem die Geburtshoroskop-Deutungen.[14] Die urteilende Astrologie hatte u.a. deswegen grundsätzliche Probleme, weil sie mit dem christlichen Dogma von der menschlichen Willensfreiheit in Konflikt geriet[15], ebenso mit der Annahme der göttlichen Entscheidungsfreiheit. Theologen, die auch Horoskope erstellten, wie beispielsweise Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon, mussten deswegen ihre - als Aberglauben, oder gar als "häretisch" (Irrlehre) betitelte - Astrologie immer wieder rechtfertigen. Melanchthon reklamierte dabei die vermeintlich 'physikalische', aus damaligem Verständnis 'naturwissenschaftlich' akzeptierte, Wirkung der Himmelskörper der Natürlichen Astrologie auch für die Judiciar-Astrologie.

Im europäischen Renaissance-Humanismus (15. und 16. Jahrhundert) mit seiner Betonung des Individuums und einem neuen Wissenschaftsverständnis setzte sich verstärkt die Meinung durch, Die Sterne machen (nur) geneigt, zwingen jedoch nicht (Astra inclinant, non cogunt).[16] Längerfristig wurde jedoch durch diesen die menschliche Autonomie hervorhebenden Individualismus, in Verbindung mit dem neuen Wissenschaftsverständnis, der Bedeutungsverlust der Judiciar-Astrologie (d.h. der Geburtshorosop-Deutungen) mit bewirkt.

Das westliche, moderne Verständnis eines Horoskopes geht vor allem in der Psychologischen Astrologie genau dahin, dass das Horoskop zwar bestimmte Anlagen und Möglichkeiten enthalte, aber keine zwingende Notwendigkeit bestehe, sein Potential auf eine bestimmte Art und Weise zu realisieren. Der Mensch ist nach diesem Verständnis nicht mehr schicksalhaft den kosmischen Kräften ausgeliefert - genauso wenig wie seinem Erbgut, der Erziehung oder Sozialisation. Er verfüge vielmehr über einen gewissen Spielraum, mit dem er aus den vorhandenen mannigfachen Möglichkeiten sein Leben frei gestalten kann.

Daneben gibt es weiterhin verschiedene astrologische Richtungen bzw. Astrologen mit einer relativ deterministischen Haltung, besonders bei Schulen, die sich auf alte Astrologiemethoden und -werke berufen.

Kausalität fallender Dominosteine
Bild 5 der alchemistischen Atalanta fugiens[17]

Siehe auch

Weblinks

Quellen und Anmerkungen

  1. Das "Lösen und Binden" (solve et coagula) oder Mercurius und Sulphur im Bild von Adler und Kröte macht das alchemistische "Große Werk" aus: "Vereinige die Kröte der Erde mit dem fliegenden Adler und du wirst in unserer Kunst die Meisterschaft sehen".
    D. Stolcius v. Stolcenberg, Viridarium chymicum, Frankfurt, 1624
    Siehe https://www.symbolonline.de
  2. Sven Walter: Illusion freier Wille? Grenzen einer empirischen Annäherung an ein philosophisches Problem. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016, S. 26-28
  3. So Michael Elsfeld, Professor für Wissenschaftsphilosophie, in Wissenschaft, Erkenntnis und ihre Grenzen, in: Carsten Könneker (Hrg.), Fake oder Fakt? Wissenschaft, Wahrheit und Vertrauen. Springer-Verlag GmbH Deutschland, Berlin 2018. S. 13-32, S. 28f.
  4. Natalie Wolchover: Verrückter Quanteneffekt erneut experimentell bestätigt. Online-Artikel auf der Website Spektrum.de 2017, abgerufen 10.1.2019
  5. Einstein hatte in einem Brief von 1926 seine Skepsis gegen die 'Zufallstheorie' der Quantenmechanik so formuliert, Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt. Zitiert nach dem Wikipedia-Artikel Gott würfelt nicht, abgerufen 10.1.2019
  6. Gregor Schiemann, in: Jürgen Renn (Hrg.), Albert Einstein. Ingenieur des Universums. Hundert Autoren für Einstein. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2005, S. 410-413
  7. Abschnitt Theologie weitgehend vom Wikipedia-Artikel Freier Wille übernommen
  8. Donald H. Wacome: Divine Omniscience and Human Freedom
  9. Lazarus Adler: Thalmudische Welt- und Lebensweisheit oder Pirke Aboth (Sprüche der Väter), Fürth 1851, S. 522
  10. Dominik Perler: Prädestination, Zeit und Kontingenz: Philosophisch-historische Untersuchungen zu Wilhelm Ockhams Tractatus de praedestinatione et de praescientia Dei (= Bochumer Studien Zur Philosophie, Band 12), Gruner 2000, S. 92
  11. Friedemann Drews: Menschliche Willensfreiheit und göttliche Vorsehung bei Augustinus, Proklos, Apuleius und John Milton Band 1: Augustinus und Proklos, de Gruyter, Berlin 2009, S. 98, 191 ff., 223 ff.
  12. Ivo Bäder-Butschle: Brüchige Fundamente. Eine Revision der Rechtfertigungslehre, Lit-Verlag 2017
  13. Stefan Fleischmann: Szymon Budny – Ein theologisches Portrait des polnisch-weißrussischen Humanisten und Unitariers (ca. 1530–1593), Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 17
  14. Jürgen Hamel: Begriffe der Astrologie. Harri Deutsch Verlag, Frankfurt am Main 2010, S. 631-632
  15. Mentgen, Gerd: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter, Verlag Anton Hirsemann, Stuttgart 2005, S. 7
  16. Jürgen Mittelstraß (Hrg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1 A-B, Stuttgart/ Weimar 2005, S. 267, Stichwort Astrologie
  17. Die an die Brust der Frau gesetzte Kröte symbolisiert die - bindende, aber unfrei machende - Sexualität zwischen den beiden. Epigramm 5 der Atalanta Fugiens von Michael Maier, 1618