Johannes Carion

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Johannes Carion[1]
Carions Geburtshoroskop

Johann(es) Carion, auch: Johannes Nägelin oder Nägele, Johannes Gewürznägelin oder Johannes Caryophyllus, war ein deutscher Astrologe, Mathematiker und Historiker. Er wurde am 22.3.1499 um 13:46 LAT Uhr (entspricht 13:52 Uhr LMT) im schwäbischen Bietigheim geboren[2].

Er starb am 2.2.1537 in Magdeburg.

Biographie

Carion[3] besuchte die Lateinschule seiner Heimatstadt und immatrikulierte sich 1514 an der Universität Tübingen. Dort traf er u.a. auf den 17-jährigen Philipp Schwarzerdt, der später unter dem Namen Philipp Melanchthon bekannt wurde. Sein astrologischer Lehrer war in Tübingen Johannes Stöffler. 1519 ging er in das (noch) katholische Brandenburg, um Hofmechanikus des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg zu werden, sowie Lehrer der Mathematik und Astrologie. Bald nach seiner Bestellung an den Berliner Hof nahm er seinen Humanistennamen 'Carion' an; Caryophyllus heißt Gewürznelke.[4] Er beschäftigte sich auch mit der Medizin und wurde zum Doktor promoviert. Das Vertrauen seines Arbeitgebers in ihn muss groß gewesen sein, denn als Carion für 1524 eine Sintflut angekündigte, veranlasste er damit den Kurfürsten, vor dem angekündigten Termin samt Gefolge auf den nahegelegenen Kreuzberg zu flüchten.[5]

Schon früh stand er in engem Kontakt mit Martin Luther, Melanchthon und Georg Sabinus.

Bekannt wurde er insbesondere mit seiner Chronik des Weltzeitalters, welche 1532 in Wittenberg bei Georg Rhau erschien, und die Melanchthon und Caspar Peucer weiter überarbeiteten. Darin strukturierte er die Menschheitsgeschichte einerseits nach apokryphen Sprüchen, welche die Dauer der Welt in sechstausend Jahre teilten, je zweitausend Jahre der Öde, des Gesetzes und des Messias, und andererseits nach der Vier-Weltreiche-Lehre entsprechend Daniel 2 und 7. Das überarbeitete Werk fand reges Interesse und erschien 1572 als Chronicon Carionis. Lange Zeit war es das beherrschende Kompendium für den universalgeschichtlichen Unterricht. Zahlreiche volkssprachliche und lateinische Drucke außerhalb des Reiches belegen seinen großen Erfolg.[6] Es diente sogar Luther dazu, das Weltende zu bestimmen[7].

Am 2. Februar 1537 starb Carion in Magdeburg - auf recht ungewöhnliche Weise. Seine Grabinschrift, verfasst in lateinischer Sprache von dem Humanisten und Schwiegersohn Melanchthons, Georg Sabinus, lässt etwas über die diesbezüglichen Hintergründe erahnen, verrät sie doch zumindest in der Übersetzung mehr Spott als Trauer: „Dr. Johannes Carion, Vertilger ungeheurer Weinkrüge, Wahrsager aus den Gestirnen, hochberühmt bei Machthabern, ist beim Gelage im Wettkampf erlegen. Christus verzeihe gnädig dem so plötzlich aus dem Kreise der Zechenden Zusammengebrochenen.“

Prognosticatio Carionis
Sintflut-Prognose Carions für 1524

Astrologie

Als Schüler Stöfflers zeigte sich Carion ebenfalls als ein Prophet von Katastrophenereignissen. So übernahm und verbreitete er dessen Prognose für die Große Konjunktion 1524 in den Fischen, die angeblich eine Sintflut auslösen sollte. Cyprian Leowitz war hier jedoch mit seiner Voraussage, die die Bauernkriege prognostizierte, treffsicherer. Ausschlaggebend für die Vorhersage eines solchen Schreckensszenarios war für Carion wohl auch das Erscheinen eines Kometen im Jahre 1521.[8]

Dass er jedoch ebenso Treffer landete, zeigt die Tafel bzw. Begründung seiner Geburtsstadt Bietigheim-Bissingen für ihre Benennung der Carionstraße: "nach dem in Bietigheim geborenen Astronomen und Schriftsteller Johann Carion, der die Französische Revolution verschiedene hundert Jahre vorausgesagt hat."

Werke

  • Practica M. Joãnis Naegelin von Buetighaim auff das 15.19. iar. Des durchleüchtigsten Fürsten vñ herren herr Joachim Margrau z Brandenburg &c. Astronomus. o.O. 1518
  • Prognosticatio und Erklerung der grossen Wesserung ...so sich begeben ... 1524. Leipzig, Wolffgang Stöckel, 1522 Digitalisat der BSB München
  • Bedeütnus und Offenbarung warer hymelischer Influxion von jarenn zum jaren, werende biß man schreybt 1540 Jar. (Augsburg), s.n., 1526 Digitalisat der BSB München; 1527 Digitalisat der BSB München; (Regensburg 1530) Digitalisat der BSB München; (Augsburg), 1531 Digitalisat der BSB München
  • Bedeutnus des iars M.D.XXXI. mit gemeiner influxion himilischer zuneigung, zu ehrn C. F. H. von Brandenburg [et]c. gemacht durch den hocherfarnen Magistrum Johannem Carion ; Venus ein guberniererin dis iars. Mars ein mithelffer. Georg Rhaw, Wittemberg 1530 Digitalisat der BSB München
  • Bedeutnus vnd Offenbarung warer hymlischer jnfluentz des hocherfarnen Magistri Johannis Carionis Bütickheymensis C.F.G. vo[n] Brandemburg Mathematici, von jarn zu jaren werende, Biß man schreibt 1550 Jar, alle Landschafft Stände vnnd einfluß klerlich betreffendt, (Augsburg), 1531 Digitalisat der BSB München
  • Iudicium de anno 1533, [Wittenberg] 1532 Digitalisat der BSB München
  • Chronica. Heinrich Stainer, Augsburg 1533 Digitalisat der BSB München; 1534 Digitalisat der BSB München
  • Practica unnd prognostication zweier fürnemlichen und weitberhümten inn der Mathematick .M. Johan Carionis und .M. Salomon der statt Rüremund Physicum, darinn biß auff M. D. LX. jar wunderliche und erschrockliche Propheceien gemeldt, eim jeden Geystlichen und weltlichen vast notwendig zuwissen. Straßburgk, 1543 Digitalisat der BSB München
  • Außlegung der verborgenen weyssagung Doctor Johannis Carionis von verenderung vnd zufelligem glück der höchsten Potentaten des Römischen reichs. Wolff Heußler, Nürnberg 1546 [Digitalisat der BSB München]; 1593 Digitalisat der BSB München; 1594 Digitalisat der BSB München
Radix Carions alter Manier[9]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Werner Bergengruen: Am Himmel wie auf Erden. Roman über Carion, den Brandenburger Hof und dessen Flucht vor der Sintflut. Diverse Auflagen ab 1940. Aktuell: 686 Seiten dtv 1997 ISBN 3423115580 ISBN 978-3423115582 Auszug aus Bergengruen (voller astrologischer Symbolik)[10]
  • Reiner Reisinger: Historische Horoskopie: Das iudicium magnum des Johannes Carion für Albrecht Dürers Patenkind. 339 Seiten. Harrassowitz, O 1997 ISBN 3447038942 ISBN 978-3447038942
Reisinger gibt eine detaillierte Einführung in die damalige Astrologie, ihre Methoden und Interpretationen. Der besondere Glücksfall dieser Arbeit aber sind die ergiebigen Quellen, die er rekonstruiert und sorgfältig ediert hat.
  • Dietmar Fürst, Jürgen Hamel: Johann Carion (1499–1537), der erste Berliner Astronom. Berlin-Treptow : Archenhold-Sternwarte (1988). 51 Seiten, ISBN 10: 386021005X ISBN 13: 9783860210055
  • Himmelzeichen J.Carion S. Hornmold Astrologie Bilder. 344 Seiten. Verlag Regionalkultur 1999 ISBN 3897351234 ISBN 978-3897351233
    Das Buch schildert in reichbebilderten Beiträgen namhafter Autoren die Lebenswege von Sebastian Hornmold und Johannes Carion
  • Peter Gemeinhardt: Das Chronicon Carionis und seine Überarbeitung durch Philipp Melanchthon, in: Welt-Zeit. Christliche Weltchroniken aus zwei Jahrtausenden in Beständen der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, hg. von Martin Wallraff, Berlin – New York 2005, S. 115-125
Konstellation der prognostizierten Sintflut 1524

Quellen und Anmerkungen

  1. Gemälde von Lucas Cranach d.Ä.
  2. Quelle Geburtsdatum AstroDatabank: Carion, Johannes, gleichlautend das abgebildete Horoskop aus der anonymen Handschrift clm 27003. In der Astrodatabank ist allerdings das Horoskop auf den 2.4. greg. erstellt. Der 22.3. jul. (der auch in der AstroDatabank als Datenquelle von Hans Taeger angegeben ist) entspricht jedoch dem 31.3. greg. Die Grundlage für die Umrechnung der Geburtszeit auf LMT ist der Aszendentenstand 21°19'Leo.gif
  3. Biographische Informationen von Wikipedia: Johann Carion übernommen. Ergänzungen aus der Allgemeinen deutschen Biographie und der Neuen deutschen Biographie]
  4. Auf den beiden bekannt gewordenen Porträts trägt er die Nelke im Wappen bzw. im Siegelring
  5. Der historische Roman "Am Himmel wie auf Erden" von Werner Bergengruen behandelt dieses Ereignis; Quelle: Wikipedia zu Joachim I.
  6. Einzelne Teile davon sollen von Melanchthon überarbeitet oder ergänzt worden sein, als Carion diesem das Werk vor dem Druck zu lesen gab
  7. Johannes Fried: Aufstieg aus dem Untergang. S. 177 C.H.Beck, 2001 ISBN 3406482090 ISBN 9783406482090 Google Books
  8. Bemerkung: Dass statt einer Sintflut die Bauernkriege stattfanden, ist typisch für Mundanprognosen: Der Astrologe sieht die "Himmelszeichen" und spürt, dass etwas in der Luft liegt, vertut sich jedoch mit seiner konkreten Deutung
  9. Die Geburtszeit ist auf Mittagsstände berechnet, somit bedeutet 1:45 Uhr p.m. die Zeit 13:45 LAT, aus der Handschrift clm 27003
  10. "Anhand von drei Hauptpersonen, dem Astrologen Carion, dem Auftraggeber Christoph Scheurl, einem reichen Ratsherren in Nürnberg und Freund Albrecht Dürers, und seinem Neffen Albrecht Scheurl, dessen Horoskop samt dem Kommentar des Astrologen vollständig vorliegt, spürt Reisinger den geistigen Ressourcen und der weltlichen Geschicklichkeit der Nürnberger Handels- und Kunst- und Gelehrtengesellschaft nach. Reisinger fand auch die Chronik der Familie Scheurl und konnte, ein weiterer Glücksfall, die Prognose des Astrologen mit der tatsächlichen Biographie vergleichen und so das iudicium (die Beurteilung) des Astrologen auf seinen prognostischen Wert hin untersuchen. Es ging ihm dabei nicht darum, inwieweit Carion recht behalten hatte, manchmal war er erstaunlich treffsicher, manchmal nicht; es ging ihm vielmehr um die fundamentale Rolle, welche die Astrologie als Wissenschaft im damaligen Denken spielte. "Mit den Kurzbiographien des Astrologen und des Horoskopbestellers wollte ich den hohen Stellenwert demonstrieren, den Astrologie und Horoskopie im Leben des damaligen Menschen besaßen. Beide, Carion wie auch Christoph Scheurl, waren gelehrte und weltgewandte Zeitgenossen. Astrologische Ratschläge waren demnach keineswegs nur im ungebildeten und als übertrieben abergläubisch angesehenen Teil der Bevölkerung beliebt. Im Gegenteil: Umfangreiche Individualhoroskope sind nur für Mitglieder der höheren Stände und Adelshäuser überliefert. Nativitäten wurden als wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben und als wichtige Dokumente sorgsam aufbewahrt." Reisinger gibt nicht nur eine solide Einführung in die astrologischen Methoden, die Carion zur Verfügung standen; er legt auch ein ausgezeichnetes Glossar vor, das nicht nur die astrologischen Ausdrücke erläutert, sondern auch die Rezepturen, die Carion seinem Klienten gegen die prognostizierten Krankheiten auf seinen Schicksalsweg mitgegeben hat. "Historische Horoskope", resumiert Reisinger, "verdienen es nicht, unter die Kuriosa oder Auswüchse einer ,dunklen Vergangenheit gerechnet zu werden, die viele lieber wie bisher unbeachtet oder in den ,Giftschränken der Bibliotheken verschlossen wissen wollen. Im historischen Verständnis sind sie, zumal die aus der Hochphase der Astrologie im 15. und 16. Jahrhundert angewandte Naturwissenschaft, der ernsthafte Versuch, auf wissenschaftlicher Grundlage das Schicksal eines Menschen aus den mathematischen Regeln gehorchenden Gestirnständen zu deuten." Oder, wie es der Philosoph Thomas Leinkauf formuliert hat: Damals hat nicht die Magie in der Vernunft, sondern die Vernunft in der Magie gesteckt." Katharina Kaever, Berliner Zeitung 8.5.1999 (Magazin)