Natürliche und Judiciar-Astrologie

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Lateinisch Astrologia judiciaria (= beurteilende Astrologie)

"Nichts geht ohne Gott" - aus diesem Grund billigte die Kirche im Mittelalter nur die "Natürliche" Astrologie

Definition und Geschichte

Natürliche Astrologie und Judiciar-Astrologie: Isidor von Sevilla (siebtes Jahrhundert) traf in seiner Enzyklopädie Etymologiae eine Jahrhunderte wirksame Unterscheidung zwischen einer natürlichen und einer abergläubischen Astrologie. Als abergläubisch bezeichnete er die Bestrebungen der Astrologie, aus dem Geburtshoroskop den Charakter und das Schicksal eines Menschen bestimmen zu wollen. Er bestritt nicht, dass man auf diese Weise möglicherweise zu Erkenntnissen kommen könne, aber seit dem Sieg Christi sei das gegenstandslos und daher nicht mehr zulässig. Die nach Isidor zulässige Natürliche Astrologie befasste sich etwa mit der Wettervorhersage oder mit medizinischen Fragen, in letzterer Hinsicht empfahl er, dass jeder Arzt eine astrologische Ausbildung haben solle. Bei Isidor, wie auch häufig in den späteren Jahrhunderten des christlich-lateinischen, europäischen Mittelalters bis in die Neuzeit hinein, ist jedoch inhaltlich keine eindeutige Unterscheidung zwischen Astronomie und natürlicher Astrologie erkennbar.[1]Die 'natürliche' Astrologie umfasste beispielsweise die Astrometeorologie und Astromedizin wie Landwirtschaftsprognosen.

Die von Isidor abgelehnte abergläubische Astrologie betraf also weitgehend nur die Geburtshoroskop-Prognosen. Ein Bereich der Astrologie, der später im Mittelalter wie in der Neuzeit als Judiciar-Astrologie oder 'Astrologia judiciaria' bezeichnet werden wird, als 'urteilende' Astrologie.[2] Sie stand ab dem Hochmittelalter, seit dem im lateinisch-christlichen Europa die zunehmenden Kenntnisse einer 'wissenschaftlichen' Astrologie beispielsweise die Horoskop-Berechnungen und Zukunftsprognosen ermöglichten, im Brennpunkt sowohl theologisch-christlicher wie philosophischer Kritik und von Verbotsmaßnahmen.[3] Im zwölften Jahrhundert lehrten die Scholastiker Petrus Abaelardus und Hugo von St. Viktor entsprechend, dass die Astrologie im Bereich der natürlichen Ursachen Aussagen machen könne, aber nicht über die vom Zufall und vom Willen Gottes abhängigen Contingentia. Diese Einschätzungen sollten für Jahrhunderte zum offiziellen Standpunkt der Kirche werden.

Astrologia, eine der sieben Freien Künste[4]

Auch die päpstlichen Verbote und Erlasse ('Päpstliche Bulle') beispielsweise des 16. Jahrhunderts gegen Wahrsagerei, Magie und auch Astrologie betrafen weitgehend nur divinatorisch verstandene Prognosetechniken samt konkreten Zukunftsvorhersagen zu Geburtshoroskopen, in Abgrenzung zur erlaubten, natürlichen Astrologie. Die bekannte Bulle von Papst Sixtus V. Contra exercentes artem astrologiae iudiciariae et alia quaecumque divinationum genera, librosque legentes vel tenentes (1586) wandte sich gegen die judiziarische Astrologie auf Basis von Divination und schloss vom Verbot jedoch 'echte wissenschaftliche' Prognosen aufgrund 'natürlicher Ursachen' und 'statistischer Häufigkeiten' aus. Schon lange vor der Bulle von Sixtus V. wie erst recht danach hatten gelehrte Astrologie-Anhänger und Astronomen-Astrologen oft betont, die astrologischen Prognosen ruhten auf der Annahme, dass die Himmelskörper einen physischen Einfluß auf Erde und Mensch ausübten, und damit wiederum auf kollektive Ereignisse wie auch individuelle Schicksale. Mit diesem Argument versuchte man vor allem mit der Geburtshoroskop-Astrologie an die natürliche und erlaubte Astrologie anzuschließen, die nach damaligem 'Physik'-Verständnis wie Kosmologie 'natürliche Ursachen' als Ursprung gehabt hatte.[5] In etwas älteren katholischen Theologie-Lexika wurde die Astrologie noch in diese beiden Bereiche geteilt und definiert.[6] Eine inhaltliche Differenzierung zwischen Astrologie und Astronomie war bis ins 17. Jahrhundert eh nicht gegeben.

Melanchthon führte Geburtshoroskope auf natürliche Ursachen zurück

Die astrologia iudicialis stieß vor allem deswegen auf Kritik, weil sie mit dem christlichen Dogma von der menschlichen Willensfreiheit in grundsätzlichen Konflikt geriet[7], ebenso mit der Annahme der göttlichen Entscheidungsfreiheit. Theologen, die auch Horoskope berechneten, wie beispielsweise Luthers Mitstreiter Melanchthon, mussten ihre - als Aberglauben, oder gar "häretisch" (Irrlehre) betitelte - Astrologie deswegen immer wieder verteidigen. Melanchthon behauptete dabei genau jene 'physikalische' Wirkung der Himmelskörper im Anschluss an eine 'echte Wissenschaftlichkeit' der 'natürlichen Ursachen'.

Inzwischen ist die Unterscheidung innerhalb Astrologie jedoch nur mehr von historischem Interesse; wenngleich im englischsprachigen Bereich ein fast gleichbedeutender Begriff - Judicial Astrology - immer noch geläufig ist.

Teilgebiete

Zur Judiciarastrologie (Judical Astrology) gehör(t)en:

  • Geburtshoroskop-Astrologie[8]
  • Mundanastrologie (nur zeitweise wie teilweise diskriminiert; betraf vor allem 'öffentliche' Landes- und Herrscherprognosen bzw. Prognosen zur Großen Konjunktion, wodurch u.a. Prognosen zu "vorbestimmten", menschlichen Schicksalen hätten entstehen können. Diskriminierungen oder Verbote mundanastrologischer Prognosen konnten aber natürlich auch rein politische Gründe haben)

Ob Elektionen und die Stundenastrologie damals zur problematisierten Judiciarastrologie gerechnet wurden, ist bisher unbekannt bzw. in keiner entsprechenden wissenschaftlichen Arbeit erwähnt.

Literatur

  • Robert Ambelain: Éléments d'astrologie judiciaire. Les étoiles fixes, les comètes, les éclipses J. Betmalle, Paris 1936
Elemente der Judiciar-Astrologie: Über Fixsterne, Kometen und Eklipsen (von dem Okkultisten, Freimaurer und Astrologen)
  • Luis Ribeiro: Jesuit Astrology. Prognostication and Science in Early Modern Culture. Warburg Institute/ University of London. 704 Seiten, Brill-Verlag 2023, ISBN 004548955, 9789004548954

Siehe auch

Éléments d'astrologie judiciaire

Weblinks

Quellen und Anmerkungen

  1. Wolfgang Hübner: Die Begriffe 'Astrologie' und 'Astronomie' in der Antike: Wortgeschichte und Wissenschaftssystematik; mit einer Hypothese zum Terminus 'Quadrivium' . Franz Steiner Verlag, Wiesbaden und Stuttgart 1990. S.33ff.
  2. Jürgen Hamel: Begriffe der Astrologie. Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch, Frankfurt 2010. S.134, Stichwort Astrologia judiciaria
  3. Barabara Mahlmann-Bauer, Die Bulle 'contra astrologiam iudiciariam' von Sextus V., in: Klaus Bergdolt, Walter Ludwig (Hrg), Zukunftsvoraussagen in der Renaissance. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2005. S.158
  4. (Hans) Sebald Beham (1500-1550)
  5. Mahlmann-Bauer, Bulle, in: Bergdolt und Ludwig, S. 167
  6. So im Eintrag zur Astrologie aus dem katholischen Lexikon für Theologie und Kirche (Zweite Auflage 1957), Verlag Herder/ Freiburg 1957, 1.Band, S.966
  7. Mentgen, Gerd: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter. Verlag Anton Hirsemann, Stuttgart 2005, S. 7
  8. Die moderne Psychologische Astrologie, sofern sie sich nur der Beschreibung des Charakters des Horoskopeigners widmet und der Ereignisprognosen enthält, würde nicht mehr unter die Kategorie der Judiciarastrologie fallen