Leonhard Thurneysser

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Bild des kurfürstlich brandenburgischen Leibarztes Leonard Thurneysser[1]
Thurneysser Signatur.gif
Mittagshoroskop für Thurneysser[2]

Leonhard Thurneysser, geboren 22.7.1531 in Basel (Taufe am 6.8.)[3]; † 1596 (9.7. oder 8.8.?) bei Köln, eigentlich Leonhart Thurneisser zum Thurn, war ein schweizerisch-deutscher Alchemist, Magier, Arzt und Astrologe am Hofe des Brandenburger Kurfürsten Johann Georg.

Er war eine schillernde, zwielichtige Figur, die von etlichen Zeitgenossen als Scharlatan angesehen wurde - nicht unähnlich dem halb historischen, halb mythischen Faust. Er führte ein ausgesprochen unstetes Leben; seine Wanderschaften und Reisen brachten ihn durch ganz Europa, sogar bis nach Kleinasien und Nordafrika.

Leben und Wirken

Als Sohn des Goldschmieds und ehemaligen Söldners Jakob Thumeysser ging er zuerst bei seinem Vater als Goldschmied in die Lehre, und war nebenher Famulus (Gehilfe) des Medizin-Professors Johannes Huber. Bei diesem fand er auch Zugang zu den Schriften des Paracelsus, welche ihn tief prägten. 1543 fand in Basel eine offentliche Sektion (Leichensezierung) des Andreas Vesal statt, ein einschneidendes Erlebnis für den jungen Thurneysser.

Eine frühe Heirat und nachfolgende Verschuldung bewogen ihn dazu, sich 1547 auf eine längere Wanderschaft zu begeben. 1548 war er in England, 1549 in Frankreich, 1551 Söldner in der Armee des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Kulmbach. 1553 geriet er in der Schlacht von Sievershausen (bei Hannover) in Gefangenschaft und kehrte 1555 nach Basel zurück. Dort heiratete er die Witwe Margaretha Müller, musste aber 1558 erneut vor Gläubigern fliehen: er hatte betrügerisch eine Stange vergoldeten Bleis versetzt. Es folgten eine Reise nach Russland, Aufenthalte in Straßburg und Konstanz, sowie 1559 eine Tätigkeit als Metallurge in Tarrenz (Tirol) im Berg- und Hüttenbau, wobei er eigene Schmelz- und Schwefelhütten anlegte. Über weitere Ehen von ihm (und vorherige Scheidungen) widersprechen sich die Quellen. Seine Bergwerks-Unternehmungen waren jedenfalls so erfolgreich, dass er die Aufmerksamkeit des Erzherzogs Ferdinand von Österreich auf sich zog. Auf Wunsch desselben unternahm er 1560 eine Reise nach England und Schottland, Spanien und Portugal, und schließlich in den Orient, wovon er 1565 über Griechenland, Italien und Ungarn wieder heimkehrte. Dabei hatte er Mineralien, Pflanzen und Arzneirezepte gesammelt, und verstand sich nun nicht mehr als Metallurge, sondern praktizierte als Apothekenarzt. Seine Tiroler Bergwerke waren inzwischen in Verfall geraten, so dass er sie aufgab. Von 1569 bis 1570 lebte er im westfälischen Münster. Er sollte, als Leibarzt des dortigen Bischofs Johann III. von Hoya, eine Apotheke einrichten, was jedoch an den Kosten scheiterte. In Münster veröffentlichte er auch seine ersten Bücher.

Sein 1571 erschienenes Buch "Pison", worin er unter anderem behauptete, dass die Spree in ihrem Sande Gold führe, war der Anlass für seinen Kontakt zum brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg[4]. Im Sommer 1571 heilte er dessen kränkelnde Gattin und wurde daraufhin zum gutbezahlten kurfürstlichen Leibarzt ernannt. Dies war der Auftakt zur erfolgreichsten Phase seines Lebens.

Leonhard Thurneysser zum Thurn

Er zog nach Berlin, wo ihm als Wohn- und Arbeitsstätte ein Teil des ehemaligen Franziskanerklosters, genannt das "Graue Kloster", zur Verfügung gestellt wurde. Dort richtete er eine Bibliothek ein, eine Druckerei, Laboratorien, sowie das erste naturwissenschaftliche Kabinett in Brandenburg. Auch legte er einen Botanischen Garten an und hielt exotische Tiere auf dem Hof. Durch den Verkauf seiner selbst hergestellten Medizin wurde er schnell zu einem reichen Mann. Er pflegte eine umfangreiche, europaweite Korrespondenz, wofür er zehn bis zwölf Sekretäre beschäftigte. Hierbei erstellte er medizinische Ferndiagnosen auf der Grundlage von Harnproben. Außerdem verkaufte er ab 1572 astrologische Jahres-Kalender, Horoskope, Amulette und Talismane zum Schutz vor dem Bösen. Die Druckerei[5] florierte, er druckte darin insbesondere seine eigenen Bücher nach, und zählte in dem Betrieb zu Spitzenzeiten bis zu zweihundertfünfzig Mitarbeiter.[6]

Allerdings schuf er sich auch viele Widersacher und Feinde, die ihn zu einem Betrüger und Zauberer erklärten. 1584 konnte er sich gegen diese nicht länger halten und musste Berlin fluchtartig verlassen, zumal die öffentliche Meinung sich gegen ihn wendete. Zuvor hatte er schon versucht, sich wieder in Basel niederzulassen, dort sogar (nunmehr ein drittes Mal) geheiratet, doch die neue Frau brachte ihm den finanziellen Ruin, indem sie bei der Scheidung einen Großteil seines Besitzes erstritt. Die letzten zehn Jahre seines Lebens führte er wieder ein unruhiges Wanderleben, wohl überwiegend im deutschsprachigen Raum. Er ließ sich katholisch taufen, lebte kurze Zeit in Rom und praktizierte dort als Leibarzt des Konstanzer Kardinals Marx Sittich von Hohenems, schrieb und publizierte auch wieder, allerdings nur noch kleine Schriften. Ein 1590 in seinem Namen erschienener Almanach für 1591 war, nach Thurneyssers Angaben, nicht von ihm selbst verfasst worden, und beschrieb wohl auch schwarzmagische Praktiken, wogegen er sich aufs heftigste wehrte[7]. Doch fühlte er sich hierdurch anscheinend berufen, wieder selbst Almanache zu verfassen, noch für 1591 erstellte er in aller Eile ein eigenes "Prognosticon astrologicum", welche dann bis zu seinem Tod wieder jährlich erschienen. 1591 schrieb er, zur eigenen Ehrenrettung, die kleine Schrift "Von der Magia, schwartzen Zeuberkunst und was davon zu halten sey", worin er die schwarze Magie als unchristlich und Gott zuwider verurteilte. Im Juli oder August 1596 starb er anscheinend in einem Kloster[8] bei Köln, einsam und verarmt.

Seine Nachwirkung war enorm und spaltete weiterhin das Publikum: Noch 150 Jahre später (zu Beginn des 18. Jahrhunderts) wurden Werke von ihm nachgedruckt - er gleichzeitig aber auch als Hochstapler und Gauner beschimpft. Bis ins Zwanzigste Jahrhundert hinein wurde sein bewegtes Leben literarisch verarbeitet, unter anderem von E.T.A. Hoffmann.

Weblinks

Vom Quecksilber[9]

Werke (Auswahl)

Großformatiges Buch in Form eines Astrolabiums mit Planetentafeln, das es - den richtigen Gebrauch vorausgesetzt - dem Benutzer ermöglichen sollte, Vorhersagen zum persönlichen Schicksal oder zu Naturereignissen zu treffen.
  • Quinta Essentia: d.i. die Höchste Subtilität, Kraft und Wirkung – der Medicina und Alchemia, Münster 1570; Leipzig 1574 Digitalisat der SLUB Dresden
Alchemistisches Werk.
  • Pison: von kalten, warmen, mineralischen und metallischen Wassern, Eichorn, Frankfurt/ Oder 1571 Digitalisat ECHO
Mineralogisches Werk.
Eine Art Enzyklopädie, mit einem Wörterbuch von Begriffen, wie sie von Paracelsus verwendet wurden. Darüber hinaus enthielt diese Schrift eine Sammlung von Thurneyssers mineralogischen Kenntnissen.
Thurneyssers Magna Alchymia

Almanache

  • Almanach, sammt der Practica, auf das 1572. Jahr (1571)
  • Allmanach unnd Schreib Kalender, sampt Verenderung des Wetters, mit eingefürter Practic, auff das Jahr der gnadenreichen Geburt JHesu CHristi unsers Erlösers MDLXXVII. Leipzig 1577 Digitalisat der ETH Zürich
  • Allmanach unnd Schreib Kalender, sampt verenderung deß wätters, mit eingefürter Practic, auff das Jar der Gnadenreichen Geburt Jesu Christi, Unsers Erlösers. M.D.LXXVIII. Graues Kloster, Berlin 1577
  • Allmanach vnd schreib Kalender sampt verenderung deß wätters, mit eingefürter Practic, auff das Jar ... M.D.LXXIX. Michel Hentzke, Berlin (1578)
  • Allmanach vnd Schreib Kalender : sampt verenderung deß wätters mit eingefürter Practic auff des Jar ... M.D.LXXX. Michel Hentzke, Berlin (1579)
  • Allmanach und Schreib-Kalender : sampt Verenderung deß Wetters ; mit eingefürter Practick, auf dz dreyzehen neuwscheinig und nechste noch dem Schaltjahr ... MDLXXXI. Michel Hentzke, Berlin (1580)
  • Allmanach und Schreib Kalender, sampt verenderung dess Wetters, mit eingefürter Practick, auf das ... Jahr ... 1583. Voltz, Berlin 1583
  • Alter vnd newer corrigirter Allmanach vnd SchreibKalender : sampt verenderung des Wetters, mit eingeführter Practick, auff das Schaltjahr, so da gezelt wird, von d. Gnadenreichen Geburt Jesu Christi vnsers Erlösers M.D.LXXXIIII. Nickel Voltz, Berlin (1583)
  • Prognosticon auf das Jahr Christi 1591. Paul Brachfeld, Frankfurt am Main 1590
  • Alt und New Allmanach, unnd Schreibkekalender, Sampt eingefürter Practica, Auff das Jar nach d’Geburt Jesu Christi, M.C.LXXXXI. Johann Francke, Magdeburg 1591
  • Prognosticon astrologicum auff das Jahr nach Christi Geburt 1591. Brachfelt, Frankfurt/ Main 1591
  • Astrologisch Prognosticon von der influentz oder bedeutung aller zusammenfügung vnd Aspecten ... vnd andern Zeichen, so sich zutragen werden in dem Jhar ... 1592 Notopyrgen, Frankfurt/ Main 1592
  • Astrologisch Prognosticon. Notopyrgen, Frankfurt/ Main 1594 Digitalisat der BSB München
  • Practica auff das Jahr nach der gnadenreichen Geburt unsers Herren und Heilandes Jesu Christi, 1596 Auß der Astronomia und Magia naturali herfliessende, allen Hohnsprecher zu trotz unnd Kunstliebenden zu Ehren gerechnet und gestellet. Notopyrgen, Frankfurt/ Main 1596 Digitalisat der BSB München
  • Astrologisch Prognosticon, von der Influens oder Bedeutung aller Zusammenfügung unnd Aspecten der himlischen fixen und Planetsternen ..., so sich begeben in diesem Jahre ... M.D.XCVI. Wittel, Erfurt (1595)
  • Alt und New Schreibkalender auff das Jahr Christi 1597 Magdeburg, 1596 Digitalisat der BSB München
Astronomisches Instrument Thurneyssers[10]
Merkursiegel[11]

Literatur

  • Gabriele Spitzer: ... und die Spree führt Gold. Leonhard Thurneysser zum Thurn, Astrologe - Alchimist - Arzt und Drucker im Berlin des 16. Jahrhunderts (= Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Bd. 3), Katalog der Ausstellung vom 15. August - 30. September 1996. Reichert, Wiesbaden 1996 ISBN 3-88226-878-6.
  • Thomas Hofmeier, unter Mitarb. von Daniel Arpagaus, Leonhard Thurneyssers Quinta essentia 1574: ein alchemisches Lehrbuch in Versen, Berlin/ Basel 2007 ISBN 978-3-939176-41-1
  • Yves Schumacher, Leonhard Thurneysser: Arzt – Abenteurer – Alchemist, 384 Seiten, Zürich 2011 ISBN 978-3-905894-11-0
  • Gerhild Komander: Den Teufel im Kristallglase geführt. Leonhard Thurneysser. In: ‘‘Berliner Lindenblatt. Die Zeitung für Berliner Geschichte‘‘, 1. November 2006, S. 15
  • Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Leonhard Thurneisser. In: Claus Priesner, Karin Figala: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. Beck, 1998, S. 360 f.
  • Eva Dannemann: Der Baseler Wundermann, in: Berlin Monatsschrift, Bulletin 2/1995, S. 80 ff.
  • Will-Erich Peuckert (Hrg.): Der Alchymist und sei Weib. – Gauner- und Ehescheidungsprozesse des Alchymisten Thurneysser.(Dokumente der Leidenschaft, Band 1), Fr. Frommanns Verlag, Stuttgart, 1956

Quellen und Anmerkungen

  1. Von Frans Floris de Vriendt I., circa 1569 (?)
  2. Ohne Zeit. Allerdings ist auch der Tag nicht sicher
  3. Zeittafel in Hofmeier, 2007
  4. Dessen Großvater Joachim I.hatte schon den aus Schwaben stammenden Astrologen Johannes Carion angestellt.
  5. Sie existierte noch lange nach seinem Tode
  6. Bei einer damaligen Einwohnerzahl Berlins von ca. 11000
  7. Vergleiche Thurneyssers Schrift Admonition oder Warnung an alle Ehr und Wahrheit liebende Menschen
  8. Nach anderen Berichten im Haus eines Goldschmiedes
  9. Aus der Quinta Essentia
  10. Gedruckt 1574
  11. Aus Thurneyssers Druckerei