Placidus-Häusersystem

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Verbreitung der Häusersysteme (Juni 2011)[1]

Das Placidus-Häusersystem, das auch als Ptolemäische Manier bekannt war, ist ein System, das man als "zeit-proportionales Bewegungshäusersystem" bezeichnen könnte - im Gegensatz zu den Raumkonstruktionen, welche weniger auf Zeit- als auf Raumlinien (astronomischen Großkreisen um die Erde) beruhen.

Es wurde in der Spätrenaissance populär, obwohl im Grunde der Ursprung bis heute nicht eindeutig geklärt ist. Zu viele Originalwerke der Arabischen Astrologie sind noch nicht übersetzt, die Vorläufer des Placidus-Häusersystems enthalten könnten.[2]

Geschichte

Magini

Häuser nach der Ptolemäischen Manier[3]

Die mathematischen Grundlagen für das heute am häufigsten verwendete Häusersystem wurden als erstes von dem Astronom, Mathematiker und Kartopgraphen Giovanni Antonio Magini errechnet und dargestellt.[4] Bei dem sogenannten Placidus-Häusersystem geht es im wesentlichen darum, die Forderungen, die Ptolemäus in Bezug zum Primärdirektionssystem gestellt hatte, auch bei der Errechnung der Häuserspitzen zu realisieren. Als "Urheber" gilt irrtümlicherweise der italienische Mönch und Mathematiker Placidus de Titis (1603-1668). Knappich:"Nach Maginus hat auch ein anderer italienischer Astrologe P. Hilarius Altobelli in seinem "Tabulae Regiae divisorum duodecim partium coeli ad mentem Ptolemaei"(1628) die bis dahin bekannten Häuserskonstruktionen kritisch besprochen und sodann Häusertafeln im Sinne von Ptolemäus konstruiert, die in ihren Resultaten denen von Placidus gleichen."[5] Knappich weiter: "So hat also Placidus viele Vorläufer und Vertreter der damals sogenannten "ptolemäischen Manier" gehabt und sein Verdienst besteht nur darin, daß er dieser Manier eine ganz andere naturphilosophische Grundlage gegeben hat und durch die Herausgabe vollständig ausgerechneter Werte für die Häuserspitzen bzw. durch seine in großer Auflage erschienenen Häusertafeln für weite Verbreitung dieser Methode gesorgt hat."[6].

Regiomontanus

Für die Gelehrte Astrologie war Ptolemäus die unantastbare Autorität in Sachen Sachen Astronomie. Während Regiomontanus glaubte, die Bedingungen erfüllt zu haben, die der große Ptolemäus gestellt hatte, war er mit seinem Häusersystem in die Kritik geraten. Man glaubte, dass Regiomontanus sich in der Auslegung des Ptolemäus geirrt hatte. Dieser Irrtum führte zur sogenannten "Rationalen Manier" im Gegensatz zur "Ptolemäischen Manier", obwohl Regiomontanus nie an seinen eigenen Ableitungen zweifelte. Dieser Streit zwischen einem raum- und einem zeitbetonten Häusersystem wurde bis in die Gegenwart weitergeführt. Wilhelm Knappich konnte jedoch anhand von Nachrechnungen überzeugend darlegen, dass Ptolemäus tatsächlich mit Halbbögen arbeitete und nicht mit Großkreisen, wie von Regiomontanus irrtümlich angenommen.[7]

Koch-Häusersystem

In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts führten Erich Carl Kühr und Walter Koch in Deutschland diesen Streit fort, der in England im 18ten und neunzehnten Jahrhundert zwischen den Regiomontanus- und Placidus-Anhängern schließlich zu Gunsten der ptolemäischen Manier ausgetragen wurde. Knappich bemerkt zu den Häuserberechnungen (Koch-Häusersystem) von Walter Koch (Heinz Specht und Friedrich Zanzinger, waren die eigentlichen Urheber), mit dem er befreundet war, dass man mit Recht dem System des Placidus und seinen Vorläufern vorgeworfen habe, dass der Halbbogen über der Erde eine andere Größe habe, als der Halbbogen unter dem Horizont und gibt unumwunden zu, dass eben dieser Unterschied in den Halbbögen dem tatsächlichen Bewegungsmuster entspricht. Knappich: "Nun ist das zwar eine naturgegebene Tatsache, dass die Tagstunden je nach den Jahreszeiten einmal kürzer, einmal länger als die Nachtstunden sind (der Äquinoctialfall ausgenommen), aber von einem Häusersystem verlangt man einen möglichst gleichmäßigen Fortschritt - wie wir ja auch nicht mit dem unregelmäßigen Sonnentag, bzw. der wahren Sonnenzeit, sondern mit einer mittleren Zeit rechnen."[8] Damit kommt Knappich nach seiner umfangreichen mathematischen und historischen Analyse der Häuserentwicklung vom Altertum bis zur Gegenwart zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Häuserspitzen im Koch-Häusersystem um Werte handelt, die nicht den tatsächlichen, bzw. realen Bewegungsmustern der Ekliptik entsprechen. So wie einst Regiomontanus Großkreise konstruierte, entwickelte Koch diese Technik weiter zugunsten einer mittleren, imaginären Raumstruktur.

Hinter der geführten Diskussion steht im Grunde die Frage, was die astrologischen Häuser ihrer Natur nach eigentlich seien. Sollen die Häuserpitzen möglichst realistisch die Tages- und Nacht-Zeitmuster einer jeweiligen geographsichen Breiter wiedergeben, dann wäre Placidus das richtige. Sollen die Häuser als tatsächliche Räume betrachtet werden, so würde man eher Regiomontanus folgen, wobei zu bemerken ist, dass das Koch-Häusersystem eine Mischkonstruktion von beiden darstellt.

Technik

(Zeitliche) Himmels-Aufteilung im Placidus-System

Jede Stelle der Ekliptik (des Tierkreises) beschreibt am Himmel einen eigenen sogenannten Tagbogen - von seinem Aufgang im Osten bis zu seinem Untergang im Westen. Nun wird für jeden Tierkreisgrad zu einem bestimmten Zeitpunkt und am jeweiligen Ort bestimmt, wie viel seiner täglichen Strecke er bereits zurückgelegt hat: diejenige Stelle, die gerade die Hälfte ihres Weges zurückgelegt hat (also den Meridian passiert) ist das Medium coeli. Der Grad, welcher gerade ein Sechstel seines Weges zurückgelegt hat, bestimmt die Spitze von [12], ein anderer, welcher zwei Sechstel zurückgelegt hat, die Spitze von [11] usw. Das Prinzip ist nicht auf Punkte der Ekliptik beschränkt. Für jeden Punkt der Himmelskugel (ausserhalb der Polarzonen) kann berechnet werden, wann er 1/6, 1/3, 2/3 oder 5/6 seines Tagbogens zurückgelegt hat.[9]

Einschätzung

Bei dem gegenwärtig meist verwendeten Häusersystem gibt es Probleme bei der Berechnung von Häuserspitzen für geographische Breiten jenseits der Polarkreise (Näheres siehe unten). Die Idee, welche Placidus mit der Entwicklung dieses Häusersystems verfolgte, basiert auf dem philosophischen Gedanken, dass Leben grundsätzlich Bewegung ist und sich stufenweise entfaltet. So sah er es als notwendig, nicht einfach nur den Raum um den Geburtsort geometrisch zu teilen (wie Regiomontanus oder Campanus), sondern die Bewegung des Himmels selbst[9].

Probleme

Zwar heißt es, dass die Häusermethode nach Placidus jenseits der Polarkreise nicht funktioniert. Dies ist jedoch nicht ganz richtig.[10]

Die Hausposition eines jeden Himmelspunktes wird dadurch bestimmt, dass man seinen Tagbogen und seinen Nachtbogen je in sechs gleichgroße Teile teilt. Die sich so ergebenden zwölf Abschnitte sind für diesen Punkt seine zwölf Häuser. Die Frage ist nun, wie man die zirkumpolaren Bereiche des Himmels behandelt, also all diejenigen Sterne, die auf einer gegebenen geographischen Breite nie auf- und untergehen. Diese Frage tritt nicht nur in geographischen Breiten jenseits der Polarkreise auf, sondern im Prinzip auf der ganzen Erde außer exakt auf dem Äquator. Die Frage verschärft sich jedoch in polaren Gebieten, weil dort auch Planeten und Teile des Tierkreises zirkumpolar werden können, und dann nicht mehr auf- und untergehen. Es handelt sich um diejenigen Bereiche des Tierkreises, in denen die Sonne dann steht, wenn sie auch zu Mitternacht scheint oder aber wenn sie auch mittags unter dem Horizont bleibt.

Eine Lösung für das Problem wurde im Jahre 1930 von Otto Ludwig vorgeschlagen.[11] Wenn ein zirkumpolarer Himmelspunkt sich am sichtbaren Himmel befindet, gibt man ihm einen Halbtagbogen von 180°. Befindet er sich dagegen unter dem Horizont, erhält er einen Halbtagbogen von 0°. Dies läuft darauf hinaus, dass die Endpunkte der Häuser-Grenzlinien am Zirkumpolarkreis durch Meridiane mit dem Himmelsnordpol verbunden werden. Damit hat jeder Himmelspunkt für jede geographische Breite (außer den exakten Polen) zu jeder Zeit eine wohldefinierte Hausposition. Allerdings erhalten damit die Grenzlinien der Häuser an den Zirkumpolarkreisen merkwürdige Ecken. Diese Lösung wird heute von Mike Wackford propagiert.[12]

Rüdiger Plantiko hingegen kritisiert sie. Ihn stören die erwähnten Ecken, und er hält die Wahl der Meridiane, die die unvollständigen Häuser-Grenzlinien vervollständigen, für “willkürlich”.[13] Folgt man ihm, hat also nicht jeder Himmelspunkt eine Hausposition nach Placidus.

Will man für polare Gebiete ekliptikale Häuserspitzen berechnen, so wie man sie in der Astrologie kennt, treten merkwürdige Phänomene auf. Da die Grenzlinien der Häuser nicht auf Großkreisen liegen, sondern sich schlängeln und (wenn man Ludwig und Wackford folgt) sogar Ecken bilden, können sie den Tierkreis u.U. an mehreren Punkten schneiden. In unserem Beispielhoroskop schneidet die Linie des 12. Hauses den Tierkreis insgesamt viermal, so dass der Tierkreis mehrmals zwischen dem 11. und 12. Haus hin- und herpendelt – bevor er dann abrupt ins 7. Haus eintritt. Die anderen Häuser-Grenzlinien hingegen berührt der Tierkreis kein einziges Mal.

Horoskop eines beim Nordpol (Nord-Norwegen) Geborenen

Diese Phänomene lassen sich nicht vermeiden. Sie bedeuten aber nicht unbedingt, dass die Placidusmethode jenseits der Polarkreise versagt. Peter Neubäcker hat darauf hingewiesen, dass man hier von der Vorstellung wegkommen sollte, dass jedes Horoskop genau zwölf Hausspitzen haben muss.[14] Für polare Horoskope könnten Placidus-Häuserspitzen statt dessen z.B. wie folgt wiedergegeben werden:

Geboren am 26. Jan. 1971 um 10:45 in Vadsø, Norwegen, 29e46, 70n05, Hausspitzen nach Placidus: 1,MC cap 28°54'57", 12,Asz aqu 1°10'45", 11 aqu 1°16'57", 12 ari 5°41p10", 11 tau 28°7'46", 12 gem 3°5'39", 7,IC can 28°54'57" 6,Dsz leo 1°10'45", 5 leo 1°16'57", 6 lib 5°41'10", 5 sco 28°7'46", 6 sag 3°5'39".

Das MC befindet sich hierbei knapp unter dem Horizont. Der Tierkreis verläuft von dort ausgehend zunächst durch das erste Haus, tritt dann ins zwölfte ein, kehrt ins elfte zurück, und so hin und her, bis er das IC erreicht und damit schlagartig ins siebte Haus eintritt. Die Häuser 2, 3, 4, 8, 9 und 10 werden vom Tierkreis gar nicht durchquert.[15]

Folgt man Plantiko und verbietet die Ludwigsche Ergänzung der Häuserkonstruktion, so ergäben sich folgende Hausspitzen nach Placidus: 0,MC cap 28°54'57", 1 aqu 1°6'30”, 12,Asz aqu 1°10'45", 11 aqu 1°16'57", 12 ari 5°41p10", 11 tau 28°07'46", 0 tau 28°53’31", 0,IC can 28°54'57", 7 leo 1°6'30”, 6,Dsz leo 1°10'45", 5 leo 1°16'57", 6 lib 5°41'10", 5 sco 28°7'46", 0 sco 28°53’31".[16]

Diese Lösungen sind geometrisch korrekt. Ihr praktischer Wert wird aber dadurch eingeschränkt, dass die Planeten infolge ihrer ekliptikalen Breite oft nicht genau die Hausposition haben, die durch die Häuserspitzen suggeriert werden.

Ruud van der Putten berechnete Placidus-Häusertabellen für die geographischen Breiten 60°-89°N (Ludwig-Verfahren).

Weblinks

Quellen und Anmerkungen

  1. Umfrage der amerikanischen Zeitschrift The Mountain Astrologer auf Facebook
  2. Wie ja auch die Sekundärdirektionen lange Zeit Placidus als Urheber zugerechnet wurden, obwohl sie nach heutigen Erkenntnissen aus der Arabischen Astrologie stammen
  3. Radix von Magini, geboren 14.6.1555 (jul.) um 18:58 in Padua. Die Häuserpitzen decken sich mit denen der späteren Häusertafeln des Placidus: 1. Haus 21°28' Sag, 2. Haus 29°40' Cap, 3. Haus 12°53' Pis, 10. Haus 17°54' Lib, 11. Haus 13°22' Sco, 12. Haus 3°24' Sag (veröffentlicht 1604)
  4. Knappich, Wilhelm, Entwicklung der Horoskoptechnik vom Altertum bis zur Gegenwart, 1978, S.39
  5. Ebenda, S.40
  6. Ebenda, S 41
  7. Ebenda
  8. Ebenda, S.41
  9. 9,0 9,1 Glossar astrologischer Häusersysteme (Christopher Weidner, im Online-Magazin Sternwelten), wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Autors
  10. Der folgende Text ist Zitat aus einem noch nicht publizierten Text von Dieter Koch
  11. Otto Ludwig, Ein Beitrag zum Häuserproblem, in: Zenit I (6-7), 1930
  12. Mike Wackford, Placido and the Semi-Arc method of House Division. Eine ausführliche Reihe von Artikeln hierzu erschien in der britischen astrologischen Zeitschrift Correlation, vols 19-23, 2001-2005
  13. Rüdiger Plantiko, On Dividing the Sky (2004), S. 28, Fußnote 26
  14. Peter Neubäcker, Die astrologischen Häuser nördlich des Polarkreises, in: Meridian 2/ 98, S. 43
  15. Die Berechnung erfolgte mit der Online-Software von Astrodienst
  16. Die mit „0“ gekennzeichneten „Häuserspitzen“ stehen am Anfang eines Ekliptikbereiches, in dem Hauspositionen nicht definiert sind