Zeit

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Grund und Ungrund, Nichts und Alles, Zeit und Ewigkeit[1]

"Was Zeit ist, weiß ich, solange ich nicht darüber nachdenke; wenn ich es aber erklären soll, bin ich ratlos und kann es nicht", klagte der Kirchenvater Augustinus schon vor mehr als anderthalb Jahrtausenden.

Philosophiegeschichte des Zeitbegriffs

Die ersten systematischen Gedanken über die Zeit sind uns von Platon überliefert. Wie Augustinus fasste in der Neuzeit dann auch Isaac Newton die Zeit absolut. Die Zeit und der Raum bildeten für ihn „Ereignisbehälter“, d.h. waren ebenso real, "objektiv", und mit Eigenschaften versehen wie die Gegenstände der Welt. Er definierte die Zeit mit den Worten: „Zeit tickt gleichmäßig von Moment zu Moment.“ Im Gegensatz dazu behauptete Leibniz, dass Zeit und Raum nur gedankliche Konstruktionen des Menschen seien, um die Beziehungen zwischen Ereignissen zu beschreiben. Aus seiner Sicht gab es damit kein „Wesen“ und keinen "Fluss" der Zeit. Er definierte die Zeit so: „Die Zeit ist die Ordnung des nicht zugleich Existierenden. Sie ist somit die allgemeine Ordnung der Veränderungen.“ In der Wissenschaft setzte sich allerdings Newtons Auffassung durch. Der große - und für die Naturwissenschaft entscheidende, praktische - Vorteil einer solcherart veerstandenen „transzendenten“ Zeit war die Möglichkeit, sie (und den Raum) "objektiv", gänzlich ohne subjektive ("menschelnde") Elemente, also unabhängig von einem realen Bezugspunkt und konkreten Beobachter, beschreiben zu können. Für Kant war die Zeit dann ebenso wie der Raum eine „reine Anschauungsform“, folglich relativ. Sie stellte für ihn unseren Zugang zur Welt dar, gehörte aus seiner Sicht zu den subjektiv-menschlichen Bedingungen der Welterkenntnis (Epistemologie) und war somit eine besondere Form, die das menschliche Bewusstsein den Sinneseindrücken verleiht. Nach seiner Meinung können wir uns selbst aus unserer Erfahrungsweise der Welt und Zeit nicht wegdenken.

Astrologie

Astronomische Uhr[2]

Chronos und Kairos bzw. Aion

Schon in der Antike gab es zwei Arten, die Zeit wahrzunehmen: als quantitative Zeit (griechisch chronos) und als qualitative (griechisch chairos). Letzterer liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Moment niemals wie ein anderer sei. Platon benutzt (in Timaios 37d) den Begriff "Aion" - die ewige Zeit oder "Ewigkeit" - als Gegenteil und Gegensatz der fortschreitenden Zeit, die er mit dem Gott Chronos identifiziert.[3]

Beide Wahrnehmungsweisen ergänzten sich. Wobei uns heute eigentlich nur noch chronos vertraut ist, die Messung der Zeit. Diese zielt darauf ab, die subjektive Erfahrung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu systematisieren. Als Basis für ihre Messung dienten schon früh astronomische Phänomene wie die Erdrotation (Drehung der Erde um sich selbst), die einen Tag ausmacht, sowie die Erdrevolution (Drehung der Erde um die Sonne), die ein Jahr dauert.[4] Beide Einheiten können heute so sehr unterteilt oder ausgedehnt werden, dass sich ihre Dimensionen der menschlichen Wahrnehmung und Vorstellungskraft entziehen.

Die Astrologie erhielt sich vor allem aber das Verständnis von chairos, der Qualität der Zeit, welche in der physikalischen Betrachtung der Zeit heute keine Rolle mehr spielt. Möglicherweise geht die Wahrnehmung einer unterschiedlichen Zeitqualität auf die verschiedenen Mondphasen zurück. Die Erkenntnis, dass sich der gleiche Himmelskörper in immer unterschiedlicher Form zeigt, bisweilen sogar vollkommen verschwindet und wiederkehrt, zählt ja zu den grundlegenden Erfahrungen der Menschheit. Und offenkundig beschränkte sich die Wandlung des Mondes nicht nur auf Äußerlichkeiten. Daraus erwuchs die Einsicht, dass es für jede Aktivität und jedes Unternehmen, einschließlich der Geburt, günstige und ungünstige Bedingungen gibt. Wenn sich etwas verwirklichen soll, muss die Zeit dafür "reif" sein, und zwar nicht im Sinne von Quantität. Wird der "falsche" Zeitpunkt gewählt, sind die auftauchenden Schwierigkeiten erheblich größer, das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Konstellationen der Planeten stellen in der Philosophie der Astrologie grundsätzlich eine Art dar, die Qualität der Zeit zu bestimmen und daraus interpretatorische (mantische) Schlüsse zu ziehen.

Poseidippos[5] verfasste folgendes "Interview" von Kairos, der alles bezwingt: "Warum läufst du auf Zehenspitzen?"

Ich laufe unablässig.

"Warum hast du Flügel am Fuß?"

Ich fliege wie der Wind.

"Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?"

Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.

"Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?"

Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.

"Warum bist du am Hinterkopf kahl?"

Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich keiner von hinten erwischen
so sehr er sich auch bemüht

Zyklisch und linear

Ein Uhrmacher an seinem Arbeitstisch[6]

Für die Bewegung der Zeit gibt es zwei verschiedene Konzepte: das lineare und das zyklische. Das lineare Denken prägt vor allem das christlich-abendländische Weltbild und daraus resultierend das Fortschritts- und Wachstumsdenken der Industrienationen. Demnach gibt es einen Anfang und ein Ende der Zeit. Alles bewegt sich auf dieses Ende hin zu, und es findet dabei ein unaufhaltsames Fortschreiten statt. Für das Christentum steht der Schöpfungsakt Gottes am Anfang und die Wiederkehr Christi am Ende der Zeit, eine (eschatologische) Vorstellung, die bis auf Augustinus zurückgeht. In der Naturwissenschaft spielt das Konzept des "Urknalls" eine vergleichbare Rolle.

Das zyklische Denken prägt dagegen bis heute die asiatischen Religionen des Taoismus, Hinduismus und Buddhismus. Demnnach ist der Lauf der Zeit eher ein unendlicher Kreis, der periodisch immer wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Es gibt dabei kein Ziel (wie den "Fortschritt"), das angesteuert wird. Und das letzte Streben des individuellen Menschen ist darauf gerichtet, diesem endlosen Kreislauf (Samsara) zu entkommen.

Die moderne Physik betrachtet seit Einstein die "Zeit" als vierte Dimension, neben dem "Punkt", der "Geraden" und dem "Raum". Seine Relativitätstheorie erschütterte das starre Konzept einer gleichmäßig fließenden Zeit. Damit stellt inzwischen auch die Physik den linearen Zeitablauf in Frage und nähert sich den mystischen Vorstellungen von der Zeit als subjektiver Erfahrung an.

Die Astrologie basiert auf beiden Zeitkonzepten, auf dem zyklischen wie auf dem linearen. Die chronologische Zeit ist als Ausgangsgrundlage erforderlich, um ein Horoskop überhaupt erstellen (berechnen) zu können. Dazu bedarf es der exakten Raum- und Zeitkoordinaten, geographisch wie astronomisch (Ephemeriden).
Die Deutung oder Interpretation eines Horoskops beruht jedoch auf dem Konzept der Zeitqualität, dass alles in einem Augenblick Geschehende einen mythologischen Sinn, nämlich seine "Qualität" hat, die man mithilfe des Analogieprinzips bzw. des Prinzips von Mikrokosmos/Makrokosmos herausfinden kann. Der Tierkreis mit seinen immer wiederkehrenden zwölf Zeichen ist dabei die wichtigste Bezugsgröße. Er entspricht dem Sonnenjahr.[7] Der Tag (24 Stunden) wird ähnlich in zwölf Häuser unterteilt. Dazwischen bewegen sich die Planeten ("Wandelsterne").

Siehe auch

Zur linearen (chronologischen) Zeit:

Zur zyklischen (qualitativen) Zeit:

An der Schnittstelle zwischen qualitativer (inhaltlicher) und quantitativer (messender) Zeit befinden sich speziell die Methoden der

Der Aion, Gaia und die vier Jahreszeiten[8]

Weblinks

Philosophische Gespräche mit Jochen Kirchhoff/ Episode 3 mit Uli Fischer. Reinkarnation und Wiedergeburt (Teil II)
Weltuntergang, Apokalypse, Armageddon: Eine philosophische Betrachtung der Endzeit - und Endzeitvorstellungen. Die kosmische Transformation der Erde.
Die Zeiten oder Lebensalter[9]

Literatur

  • Ernst Jünger: An der Zeitmauer, Klett-Cotta, Stuttgart, 3. Auflage 2003, ISBN 3-608-93750-1, Erstausgabe ebenda 1959
Wikipedia: An der Zeitmauer ist eine Sammlung von Gedanken Ernst Jüngers aus dem Jahr 1959 zur gegenwärtigen Situation des Einzelnen und der Menschheit insgesamt und darüber, wie sich die Menschheit weiterentwickeln kann, wenn überhaupt.
In fünf Kapiteln beleuchtet Jünger verschiedene Problembereiche. Im ersten Kapitel („Fremde Vögel“) geht er auf Vorzeichen einer globalen Veränderung der Erde, aber auch der Menschheit ein. Im zweiten Kapitel („Messbare und Schicksalszeit“) unterscheidet er zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer astrologischen Betrachtung der Zeit und der Welt. In den Kapiteln „Humane Einteilungen“ und „Siderische Einteilungen“ betrachtet er den Menschen und die Menschheit und stellt sie in kosmologische Zusammenhänge. Das Werk schließt mit dem Kapitel „Urgrund und Person“, in dem die Stellung des Einzelnen zum Glauben und den religiösen Institutionen erörtert wird.
Die Grundthese des Werks ist die Annahme, dass sowohl die Menschheit selbst als auch die Erde als Gaia im kosmischen Zusammenhang vor einer fundamentalen Wende stehen. Jünger lässt offen, ob der Menschheit der Sprung über die Zeitmauer gelingt oder sie letztlich von der Erde abgestoßen wird.
„Die Erde hat aus ihrem Urgrund schon oftmals neue Gestalten hervorgebracht. Wenn sie sich dazu nun des Menschen als ihres klügsten Sohnes bedient, ist die Gefahr promethischer Bildungen und ihres Schicksals groß. (...) Der echte Partner der Erde ist nicht der Verstand mit seinen titanischen Plänen, sondern der Geist als kosmische Macht. Bei allen Erwägungen (...) spielt daher eine große Rolle die mehr oder minder ausgesprochene Hoffnung, dass höhere Geisteskräfte die gewaltigen Bewegungen zügeln und sich ihrer wohltätig bemächtigen.“

Quellen und Anmerkungen

  1. Jacob Böhme: "Der Ungrund ist also das Nichts, das grundlose Auge der Ewigkeit." Alchemistische Abbildung
  2. Kunstuhr am Uhrenturm im Hof des Deutschen Museums mit Sekunden- und Wochentagsanzeige mit Bildzeichen. Monatsangabe mit Tierkreiszeichen, Stundenschlag, Anzeige der Mondphasen und Viertelstundenschlag
  3. Wikipedia zum Äon (Philosophie)
  4. Zwar haben Präzisionsuhren nachgewiesen, dass beide Drehbewegungen nicht völlig regelmäßig erfolgen, doch verloren sie dadurch ihre grundlegende Funktion bei der Zeitmessung nicht.
  5. Drittes Jahrhundert v.Chr.
  6. Englische Illustration aus dem Jahr 1748
  7. Ein größerer Zyklus ist das platonische Jahr. Dieses umfasst einen Zeitraum von 25 729 Jahren (einer anderen Angabe zufolge 25 771 Jahre), in welchem der Frühlingspunkt einmal durch den Tierkreis wandert
  8. Bildfeld eines Bodenmosaiks aus einer römischen Villa bei Sentinum (dem heutigen Sassoferrato im Marken), um 200-250 n.Chr. Jugendlicher Ewigkeitsgott Aion im Himmelkreis der Tierzeichen zwischen einem grünen und einem kahlen (winterlichen) Baum. Zu seinen Füßen die Erdmutter Tellus (römische Gaia) mit vier Kindern, welche die vier Jahrezeiten verkörpern
  9. Allegorie der Zeit von Tizian (ca. 1560)