Individualastrologie

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Psychosophia oder Seelenweißheit[1]

Synonyme: Geburtsastrologie, Nativitätenastrologie, Genethlialogie

Die Individualastrologie ist derjenige Bereich der Astrologie, bei dem ein einzelner Mensch im Mittelpunkt der Deutung oder Prognose steht. Dazu gehören sein Radixhoroskop - auch Nativität genannt - und alle weiteren daraus abgeleiteten Horoskope. Historisch betrachtet hat sich die Individualastrologie im Zeitraum zwischen dem sechsten und dem ersten Jahrhundert vor Christus entwickelt. Bis zur Zeit des Römischen Reiches war sie vorwiegend gekrönten Häuptern oder Priestern vorbehalten. Auch deren Horoskopdeutungen gewannen ihre Relevanz nur daraus, dass ihr Schicksal mit dem des Staates gleichgesetzt wurde. Für die Masse der Bevölkerung, selbst in gehobenen Positionen, war ein individuelles Horoskop hingegen undenkbar.

Die Betonung der Individualität durch die antike Philosophie, die Renaissance und später die Neuzeit, beeinflusste auch die Astrologie. Das Interesse für das Schicksal des einzelnen ging einher mit der starken Verbreitung der Seelenwanderungslehre in den hermetischen und gnostischen Kulten. So begann auch die Astrologie ihre Methoden zusehends auf Privatpersonen auszudehnen. Die ersten Werke über Astrologie aus der hellenistischen Epoche befassten sich hauptsächlich, wenn nicht ausschließlch, mit den Nativitäten. Lediglich Claudius Ptolemäus behandelte in seinem Klassiker "Tetrabiblos" die Mundanastrologie vor der Nativitätenastrologie. Diese Anordnung ist aber wohl dem aristotelischen Grundsatz zuzurechnen, dass das Allgemeine dem Individuellen übergeordnet sei.

Heute ist die Individualastrologie so weit verbreitet, dass ihr Gegenpol, die Mundanastrologie, immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein schwindet. Das astrologische Wissen steht inzwischen grundsätzlich jedem zur Verfügung, es ist nicht mehr verborgen und geheim ("esoterisch"), und auch materiell gibt es keine ernsten Hindernisse mehr, sich auf die Horoskopie einzulassen.

Geschichte

Zuerst hatten wir nur die Mundanastrologie (Universal-Astrologie). Dabei wurden bestimmte Konstellationen beobachtet, beschrieben, sowie gedeutet, und zwar für Länder, Völker, Erdteile, den jeweiligen Herrscher (König, Fürst), das Wetter (Landwirtschaft), Naturkatastrophen, Kriege, usw. Dies begann im antiken Babylon.[2]

Von der Mundan-Astrologie zweigte sich in der letzten Phase der babylonischen Astrologie die Geburtsastrologie ab, welche die (Tages-)Positionen der Planeten bei einer Geburt deutete, wie Funde belegen. Zitat: „Ein interessanter - und durchaus repräsentativer - Vertreter babylonischer Deutungstechnik ist das Horoskop für Anu-belsunu, das auf das Datum X.2 des Jahres 63 s.Ä., also den 29. Dezember 249 v.Chr., ausgestellt wurde:"

1. Jahr 63 Tebetu, Abend des (?) zweiten Tages
2. Anu-belsunu wurde geboren.
3. An diesem Tag war die Sonne auf 9,30° Steinbock,
4. Der Mond war auf 12° Wassermann: Seine Tage werden zahlreich sein.
5. Jupiter war am Beginn des Skorpion: Jemand wird dem Prinzen helfen.
6. [Das Kind (?)] wurde [i]m (?) Wassermann geboren mit/ oder in der Region von (?) Venus: Er wird Söhne haben.
7. Merkur war im Steinbock; Saturn im Steinbock;
8. Mars im Krebs.

Bei dem hier genannten Anu-belsunu handelt es sich um den Nachkommen eines bekannten «Schreibers von Enuma Anu Enlil», der selber als Autor astrologischer Texte hervorgetreten ist. Man kann daraus schließen, dass in seleukidischer Zeit Horoskope nicht nur für den König erstellt wurden, sondern auch für Individuen der gehobenen Schichten."[3] Von einer Geburtshoroskop-Astrologie, mithin von einem Horoskop mit Aszendent, Horoskop-Häusern und Aspekten, kann man aber erkennbar noch nicht sprechen[4]; diese wurde erst durch die Hellenistische Astrologie entwickelt[5][6]

Horoskop, das Eutocius zugeschrieben wurde[7]

Die Geburtsastrologie kam frühestens um 440 v.Chr. nach Griechenland, und wurde insbesondere während der Seleukidenzeit (drittes und zweites Jahrhundert v.Chr.) begierig von den Hellenen aufgenommen. Sie entwickelten die von den Babyloniern übernommene Vorlage in eigener Weise weiter, unter Hinzunahme der Gedanken von Platon, Eudoxos und Aristoteles, der Berechnungen von Hipparchs (Präzession), der griechischen Geometrie, Arithmetik und Mythologie[8]. Damit waren die Grundlagen für die Berechnung etwa eines Geburtshoroskopes gegeben, ebenso für die Aspekte-Deutung etc.

Die umfangreichsten Werke aus der hellenistischen Zeit, die uns die individuelle Geburtshoroskop-Astrologie vermitteln, sind - in chronologischer Reihenfolge - das "Carmen astrologicum" von Dorotheos von Sidon, die "Anthologie" in neun Büchern von Vettius Valens, die Tetrabiblos von Claudius Ptolemäus und die "Matheseos libri octo" von Firmicus Maternus. Vor allem die ersten drei genannten Werke bilden die Ausgangsgrundlage für alle später sich bildenden Astrologieschulen mit ihren verschiedenen Methoden, die je nach Anspruch und Ziel noch verfeinert wurden.

In der persich-arabischen Astrologie wurde die Nativitätenastrologie der Griechen weiterentwickelt. Zugleich erlangte in dieser Epoche die Stundenastrologie große Bedeutung, und erhielt in manchen zentralen Werken[9] sogar Vorrang vor der Indvidualastrologie.

Als im Spätmittelalter und in der Renaissance die Astrologie Europas ihre Blütezeit erfuhr, gewann die individuelle Geburtsastrologie ihre zentrale Stellung. Das - wegen den in der Individualastrologie üblichen Prognosen - immer wieder gespannte Verhältnis zur christlichen Theologie (Thema göttliche Allmacht bzw. menschliche Willensfreiheit) führte aber dazu, dass man denjenigen Gebieten der Astrologie, die sich mit den physischen Aspekten unserer Existenz befassen, mehr Raum gab (sog. "natürliche Astrologie, , siehe Judiciarastrologie). Das waren vor allem die Astromedizin - die als ein Teilbereich der Individualastrologie gesehen werden kann - und die Astrometeorologie (astrologische Wetterprognose).

Die moderne Astrologie, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, legt ihren Schwerpunkt eindeutig auf die Individualastrologie. Diese Entwicklung wurde durch die neuen spirituellen Strömungen dieser Zeit via der Theosophie von Helena Blavatsky, sowie durch die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie begünstigt und bereichert. Vor allem das Werk von Carl Gustav Jung übte einen großen Einfluss auf die heutige psychologische Astrologie aus.

Quellen und Anmerkungen

Die Planeten blicken auf das Baby aus ihren Sphären[10]
  1. Alchemistische Abbildung
  2. Westenholz, Ulla-Koch: Mesopotamien Astrology. An Introduction to Babylonian and Assyrian Celestial Divination. Museum Tusculanum Press, Copenhagen 1995, ISBN 8772892870, ISSN 0902 5499
  3. Francesca Rochberg: Babylon Horoscopes. Philadephia 1998, 79-81, in Kocku von Stuckrad: Geschichte der Astrologie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 2003, S. 68-69, ISBN 3406509053
  4. Francesca Rochberg: Babylonian Horoscopes. American Philosophical Society, Philadelphia 1998, S. 2.
  5. James Herschel Holden: A history of Horoscopic Astrology. American Federation of Astrologers, Tempe (USA) 2006, S. 9
  6. Grundlagenwerk zu den Geburtshoroskopen der hellenistischen Astrologie: Neugebauer/ Van Hoesen: Greek Horoskopes. American Philosophical Society, Philadelphia 1959 (2. Auflage 1987 erschienen). online
  7. Eutocius lebte in Alexandria 497 n.Chr. Detail der Horoskopzeichnung in L 497 in Otto Neugebauer und Henry B. Van Hoesen, Griechische Horoscopes
  8. B.L. van der Waerden: Erwachende Wissenschaft. Band 2. Die Anfänge der Astronomie. Birkhäuser Verlag, Basel 1999, S. 247-248, ISBN 3764311967
  9. Wie in dem "Buch über die Urteile der Sterne" von Ali ben Ragel (Abenragel)
  10. "Aspekt" von lateinisch "aspicere" = ansehen, betrachten. Abbildung aus Johann George Sambach: Astrologischer Spiegel, Nürnberg, 1680